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Es kann keinen Sonderstatus für öffentliche Amtsträger geben

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Meinung von Nikolaos Gavalakis (Berlin, Deutschland)Dienstag, 28. Mai 2024Inter Press Service

BERLIN, Deutschland, 28. Mai (IPS) – In einem Interview mit Herta Däubler-Gmelin, die von 1998 bis 2002 Bundesministerin der Justiz und von 1972 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages war, forderte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, letzte Woche Haftbefehle gegen drei Hamas-Führer sowie gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Galant. Ihnen werden verschiedene Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Aber was bedeutet das und wie geht es weiter?

Dies ist ein sehr wichtiger erster Schritt, um politische und militärische Führer für schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht bringen zu können. Seit einiger Zeit führt die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs mit Unterstützung hochqualifizierter externer Experten für Völkerrecht auch Ermittlungen in Israel und Gaza durch.

Die Ermittlungen bei der Generalstaatsanwältin leitet Brenda J. Hollis, eine herausragende US-Anwältin mit langjähriger Militärerfahrung. Und sie ist auch in diesem Fall ebenso kompetent wie in den Ermittlungen gegen Wladimir Putin, die zu einem Haftbefehl des Gerichts führten.

Der Generalstaatsanwalt hat die Ergebnisse seiner Ermittlungen an die zuständige Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs weitergeleitet. Diese ist mit Richtern besetzt, die alle vorgelegten Beweise sorgfältig prüfen und sie dann in völliger Unabhängigkeit und im Einklang mit dem geltenden Strafrecht bewerten, bevor sie über die Ausstellung eines Haftbefehls entscheiden.

Das Verfahren ist also das gleiche wie beim Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten. Doch wozu braucht es den Internationalen Strafgerichtshof? Ist nicht die israelische Justiz für einen möglichen Prozess zuständig?

Natürlich muss die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs geklärt werden. Dazu gehört in diesem Fall auch, ob – sollten sich die schrecklichen Verbrechensvorwürfe bestätigen – auch der israelische Premier und sein Verteidigungsminister vor israelischen Gerichten angeklagt und von diesen verurteilt würden. Dies ist trotz Netanjahus Versuchen, seine politische Macht durch eine Schwächung der Justiz zu stärken, nicht völlig ausgeschlossen.

Wir alle erinnern uns an die riesigen Demonstrationen mutiger israelischer Bürger gegen diese Pläne. Bis heute ist der „Kampf um Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung“ in Israel noch nicht vorbei. All dies müssen die Richter der zuständigen vorläufigen Kammer erkennen und bewerten.

Das Ersuchen des Generalstaatsanwalts betrifft sowohl die Führung der Hamas als auch die Führung Israels. Führt dies nicht zu einer unangemessenen Gleichsetzung von Mitgliedern einer von der EU auf der Terrorliste geführten Organisation mit gewählten Vertretern einer demokratischen Regierung?

Der Gleichwertigkeitsanspruch ist ein unzutreffender, politischer Vorwurf – und der Internationale Strafgerichtshof beschäftigt sich nicht mit Politik. Ihm geht es nachweislich um Völkerrecht. Das sollten alle – auch Regierungserklärungen – berücksichtigen, wenn sie den Internationalen Strafgerichtshof nicht schwächen wollen.

Der Generalstaatsanwalt hat natürlich verschiedene Anträge mit unterschiedlichen Begründungen eingereicht, die sich auf unterschiedliche Tatsachen und Verbrechensvorwürfe beziehen. In diesen ist keine erkennbare rechtliche Gleichstellung zwischen den Führern der Hamas, also einer hoch organisierten nichtstaatlichen Terrorgruppe, und den gewählten Vertretern Israels erkennbar.

Manche Kommentatoren vertreten offenbar die Ansicht, dass nur Terroristen schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen können, nicht aber demokratisch gewählte Amtsträger. Leider zeigen zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, dass dies nicht der Fall ist.

Da Deutschland den Internationalen Strafgerichtshof anerkennt, müssten Netanjahu und Galant im Falle einer Anklage theoretisch bei der Einreise festgenommen werden. Für wie realistisch halten Sie das?

Wer vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird, muss bei der Einreise in einen Mitgliedstaat festgenommen werden, denn das Römische Statut schreibt klar vor, dass Haftbefehle von den Mitgliedstaaten vollstreckt werden müssen. Natürlich gefällt das nicht jeder Regierung, die ihre eigene politische Agenda verfolgt.

Wie wir alle wissen, stieß die Kritik der chinesischen Regierung am Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin und ihre Forderung nach Immunität mit der Begründung, er sei ein Amtsträger, auf Erstaunen. Einen Sonderstatus für Amtsträger kann es jedoch nicht geben.

Das Römische Statut schließt dies aus und wir in Deutschland – sowie rund zwei Drittel der UN-Mitgliedsstaaten – sollten den unabhängigen Internationalen Strafgerichtshof aus guten Gründen anerkennen und unterstützen.

Als rechtsstaatliche Demokratie sollten wir uns auch vor Doppelmoral hüten. Im Gegenteil, wir sollten dazu beitragen, die durch politische Interessen geschürten Zweifel an der Qualifikation, Integrität und Unabhängigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, des Generalstaatsanwalts und der Richter zu zerstreuen.

Der Internationale Strafgerichtshof hat seine hohe Qualifikation und Notwendigkeit mehrfach unter Beweis gestellt. Es ist empörend, dass die USA, Russland, aber auch China und Indien, um nur einige zu nennen, den Gerichtshof als „einen Gerichtshof für andere, aber nicht für sich selbst“ anerkennen.

Dies schwächt das Völkerrecht, auf das wir Deutschen in besonderem Maße angewiesen sind. Der Internationale Strafgerichtshof hat bekanntlich bereits 2021 nach mehreren Resolutionen und Empfehlungen der UN-Generalversammlung seine Zuständigkeit zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Palästina und Gaza anerkannt.

Der Internationale Strafgerichtshof basiert auf dem Römischen Statut von 1998, das während Ihrer Zeit als Justizministerin und gegen großen Druck der USA verabschiedet wurde. Welche Auswirkungen hätte eine Missachtung des Verfahrens durch Deutschland und andere Unterzeichnerstaaten auf das internationale Rechtssystem?

Es ist in der Tat eine große Enttäuschung, ja geradezu ein Ärgernis, dass Staaten wie die USA sich einer Mitgliedschaft entziehen und den Internationalen Strafgerichtshof regelrecht bekämpfen. Zumal im Büro des Generalanklägers sehr gute US-Anwälte arbeiten.

Ich möchte es noch einmal wiederholen: Die Stärkung des Völkerrechts und die Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs gehen Hand in Hand. In Deutschland haben wir nicht nur das Römische Statut ratifiziert, sondern auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch geschaffen, das heute nach dem Römischen Statut den Internationalen Strafgerichtshof in entsprechenden Verfahren entlastet. Wir sind auf das Völkerrecht angewiesen und sollten dies auch weiterhin tun. Und diese Unterstützung muss sich immer wieder aufs Neue bewähren.

Der Kampf gegen schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist heute wichtiger denn je. Zudem ist es höchste Zeit, das Verbot des Angriffskrieges vollumfänglich der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterstellen, auch wenn „nur“ der angegriffene Staat, nicht aber der Aggressor selbst, Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs ist.

Quelle: International Politics and Society (IPS)-Journal herausgegeben von der Abteilung Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastraße 28, D-10785 Berlin

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